Das kleine ET420-Lexikon

Bahnsteig

Ein wichtiges Qualitätsmerkmal des S-Bahnbetriebs ist die Gewährung eines raschen Fahrgastwechsels an jedem Haltepunkt. Ein möglichst stufenloser Wechsel zwischen Bahnsteig und Fahrzeug soll einen solch schnellen Fahrgastfluss und die dadurch erzielte kurze Aufenthaltszeit ermöglichen.

Um diesen Anforderungen zu entsprechen, wurde mit der Entwicklung des Berliner S-Bahnsystems in den 1920er Jahren bei der Realisierung eine Anleihe aus damals schon bestehenden U-Bahnbetrieb entlehnt: Eine Bahnsteighöhe auf annähernd gleichem Niveau des Fahrzeugbodens. Die seinerzeit technisch mögliche Mindesthöhe des Fahrzeugs gab dabei die Maßstäbe vor. Somit mussten die Bahnsteige entsprechen angepasst werden. Um einen nahezu stufenlosen Zutritt zu den Fahrzeugen zu ermöglichen, wurden die Bahnsteige auf ca. 1 Meter erhöht. Ein erheblicher Aufwand, der sich durch keine fahrzeugseitige Alternative vermeiden ließ. Der technische Stand erlaubte insbesondere bei den Fahrmotoren konnten kaum eine kleinere Dimensionierung um auf die geforderte Leistung zu kommen. Das galt auch für Getriebe, die ein ausreichendes Drehmoment auf die Achsen zu bringen sollten. Der dadurch konzipierte hohe Wagenboden bot jedoch auch Vorteile, so konnten fast alle notwenigen Betriebe ebenfalls darunter untergebracht werden.

Neben diesen Sonderfällen bei S- und U-Bahnen sind Bahnsteige bei der Eisenbahn größtenteils wesentlich niedriger. Das meistgültige Lichtraumprofil für Schienenfahrzeuge in Deutschland lässt nur Bahnsteige bis zu einer Höhe von 76cm zu. In der Vergangenheit machte diese Vorgabe zumeist einen Zustieg über Stufen notwendig. Mittlerweile können Fahrmotoren und Betriebe ohne Leistungsverlust kleiner dimensioniert werden, was dazu führt das 96cm-Bahnsteige auch in Zukunft betriebliche Sonderfälle bleiben werden.

Bild: Bahnsteig
Wie hier am Bahnhof von Olching, sichern erhöhte Bahnsteige ein bequemes, nahezu barierrefreies Einsteigen.
Foto: Dirk Mattner

Bahnsteighöhen neuer S-Bahn-Netze der Bundesbahn

Als die Bundesbahn in den 1960er Jahren an die Konzeption neuer S-Bahnsysteme trat, war diese technische Entwicklung noch nicht absehbar, womit erstmals im Wechselstrombetrieb ebenfalls Bahnsteige mit 96cm Höhe zur Anwendung kommen sollten. Nur so konnte man die Voraussetzungen für einen reibungslosen Fahrgastwechsel an neuralgischen Punkten im Netz schaffen. Die Fahrzeugtechnik war zu diesem Zeitpunkt noch nicht soweit in der Lage, ein brauchbares, alltagstaugliches Niederflurkonzept anzubieten, das den hohen Anforderungen eines S-Bahnbetriebs genügt hätte. So setzte man auch bei der Konzeption des S-Bahntriebzugs der Baureihe 420/421 eine optimale Bahnsteighöhe von 96 Meter voraus.

Durch diese Entscheidung ergaben sich sowohl konstruktive Vorgaben, als auch Kompromisse für die neu zu errichtenden S-Bahnsteige, die in den entsprechenden Netzen (München, Stuttgart, Rhein-Main, Rhein-Ruhr-Sieg und Nürnberg) bis heute bestehen. Es hatte kostenintensive Umrüstung aller im zukünftigen S-Bahnbereich befindlichen Bahnsteiganlagen zur Folge. Kompromisse mit einer Anhebung auf lediglich 76cm mussten dabei an Bahnsteigen eingegangen werden, die sich in Streckenbereichen mit Mischbetrieb befanden. Somit ist bis heute an allen S-Bahnhöfen kein stufenloser Einstieg in die Fahrzeuge der klassischen S-Bahnnetze möglich.

Der Kompromiss schien zur Zeit der Bundesbahn noch vertretbar gewesen zu sein, waren doch bei allen anderen Personenzügen mehr und höhere Stufen zu überwinden. Zudem ist bis heute im Kernbereich, dort wo im reinen S-Bahnbetrieb ein hohes Fahrgastaufkommen und ein entsprechend großer Fahrgastwechsel zu erwarten ist, eine Bahnsteighöhe von bis zu 96cm gegeben. Desweiteren konnten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durch Entflechtung der Verkehre und durch den Rückgang des Mischbetriebs (z.B. durch Einstellung des Güterverkehrs auf vielen Nebenstrecken) auf weiteren Strecken die Bahnsteige entsprechend erhöht werden.

Für den Normalbetrieb mit S-Bahnfahrzeugen der Baureihe 420, sowie den von ihr abgeleiteten Fahrzeugen (x-Wagen, ET423, ET422 und ET430) sind Bahnsteige mit einer Mindesthöhe von ca. 65 cm notwendig. Größere Höhenunterschiede als 30 cm sind im Sicherheitsinteresse kaum vertretbar und gewähren natürlich auch keinen ungehinderten Fahrgastfluss mehr. Damit schränkt sich das Einsatzgebiet des ET420 schon alleine aus baulichen Gründen ein. Das gilt selbst für klassische S-Bahnhöfe. Als Beispiel sei im Münchner S-Bahnnetz der Bahnhof Geltendorf genannt, dessen Hausbahnsteig (Gleis 1) auch nach Beginn des S-Bahnzeitalters nicht erhöht wurde. Im Fahrgastbetrieb konnten stets nur die beiden entsprechend erhöhten Inselbahnsteige bedient werden. Eine Erhöhung des Hausbahnsteigs hielt man nicht für notwendig, da eine S-Bahn auf dem Hauptgleis nach Buchloe den Durchgangsverkehr unnötig behindert hätte. Zwar wurde auch das Gleis 1 mit elektrifiziert und in jüngster Zeit sogar etwas erhöht, doch bleibt die S-Bahn ihr im Fahrgastbetrieb weiterhin fern.

Eine besondere Sparversion bei der notwenigen Bahnsteigerhöhung für den S-Bahnbetrieb ließ sich die DB AG um die Jahrhundertwende auf der S7 Frankfurt – Riedstadt Goddelau einfallen. Auf die vorhandenen Bahnsteige wurden lediglich Betonfertigteile und nur auf der notwendigen Länge eines Vollzugs gesetzt. Die viel längeren bestehenden Bahnsteige werden weiterhin als Zugänge genutzt. Auch die Treppenaufgänge führen weiterhin auf die frühere Bahnsteigebene. Erst über weitere Stufen, bzw. einer Rampe gelangt man von dort auf das S-Bahnniveau.

Heutige und zukünftige Entwicklung

Bei der Konzeption neuer S-Bahnsysteme sind die beschriebenen Kompromisse nicht mehr notwendig, da die Fahrzeugindustrie mittlerweile dank neuer Technologien niedrigere Fahrzeuge anbieten kann. So gingen die S-Bahnen für Hannover (ab 2000) und Rhein-Neckar (ab 14. Dezember 2003) mit Fahrzeugen der Baureihe 424 und 425 in Betrieb, die an 76cm-Bahnsteigen einen nahezu barrierefreien Zustieg erlauben. Noch niedriger sind die Zustiegshöhen bei der Leipziger S-Bahn, bei der eine Bahnsteighöhe von 55cm ausreicht. Mit ausfahrbaren Trittstufen an den Talent 2 Garnituren (Baureihe 1442) wird dabei für einen fast niveaugleichen, vor allem aber spaltfreien Zustieg gesorgt.

Bei den Wechselstrom-S-Netzen aus der Bundesbahnzeit, die zumeist auf die Baureihe 420 und seinen Nachfolgern zugeschnitten sind, zeichnet sich eine mögliche neue Entwicklung für die Zukunft ab. So könnte es auf langer Sicht zu einer Abkehr des 96cm-Einstiegniveaus kommen. Unverkennbare Indikatoren sind dabei das weiterentwickelte S-Bahn-Netz in Nürnberg und die Neuvergabe der S-Bahnverkehre auf der S5/S8 der S-Bahn Rhein-Ruhr.

Im Falle Nürnbergs wurden die ersten Ausbaustufen noch unter der Maßgabe einer optimalen Einstiegshöhe von 96cm ausgeführt. Das Wagenmaterial bestehend aus den sog. x-Wagen entsprach dieser Norm, bzw. gab diese vor. Nach der Fertigstellung der S-Bahnstrecke Nürnberg - Roth im Jahre 2001, wurden alle weiteren Ausbauplanungen auf eine Standardhöhe von 76cm abgeändert. Die heutige S2 von Roth über Nürnberg nach Altdorf ist die einzig verbliebene Strecke mit einer 96cm-Ausrichtung. Erkennbar ist das auf dieser Linie vor allem durch den allein verbliebenen Betrieb mit x-Wagenwendezügen bei der Nürnberger S-Bahn. Das restliche Netz wird nur noch von Talent 2 Triebzügen der Baureihe 442 bedient, die in diesem Falle auf eine Einstiegshöhe von 76cm ausgerichtet sind. Mit der Neuvergabe des Gesamtnetzes an einen privaten Bieter ist mit einer Angleichung aller Bahnsteighöhen auf allgemein 76cm zu rechnen, da nur noch ein Fahrzeugtyp zum Einsatz kommen wird.

Im Falle der S-Bahn Rhein-Ruhr wurde bei der Neuausschreibung für die Linie S5/S8 (Dortmund – Hagen – Mönchengladbach) ein Fahrzeug mit niedrigerer Einstiegshöhe als 96cm akzeptiert, womit man sich erstmals mit zu hoch dimensionierten Bahnsteigen im S-Bahnbetrieb konfrontiert sieht. Die Fahrzeuge der Baureihe 1440 wären erst bei einer Bahnsteighöhe von 76cm niveaufrei begehbar, die nicht alle Bahnsteige auf dieser Linie vorweisen. Der VVR erwägt DB Netz dahingehend zu bewegen, in Zukunft diese Linie durchgängig auf die neue Bahnsteighöhe (herunter) zu bringen. Die Anpassung auf die neue Höhe ist in diesem Falle technisch etwas einfacher zu bewerkstelligen, als es das bei einer Bahnsteigerhöhung wäre. Je nach örtlicher Begebenheit kann ein „Aufschottern“ des Gleisbetts um 20 Zentimeter die einfachste Lösung sein.

Für die klassischen S-Bahnnetze in München, Stuttgart und Frankfurt und bislang auch die restlichen Linien zwischen Rhein, Sieg und Ruhr bleibt es einstweilen beim Status Quo. Mit der Baureihe 430 haben sich Stuttgart und Frankfurt erst jüngst für den Weiterbetrieb in diesem Modus festgelegt. Über die mittelfristige Perspektive Münchens wird man erst etwas mit der nächsten Ausschreibung sagen können. Die hohe Zahl an ET422 und ET423 in NRW lässt zunächst keine weiteren schnellen Schritte nach der jetzt vollzogenen Umstellung auf der S5/S8 erwarten.

» Zeittafel der Nürnberger S-Bahn

» VRR-Meldung zur Vergabe der S5/S8

(dm)
03.2015